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AVIVA-BERLIN.de im Mai 2024 - Beitrag vom 31.05.2008


Verfassungsschutzbericht 2007. Extremismus in Berlin
Britta Leudolph

Überblick über die Aktivitäten von rechts-, links- und ausländerextremistischen Personen und Gruppen. Während rechtsextremistische Gewaltdelikte leicht rückläufig waren, nahmen...




...linksextremistische zu, insbesondere Brandstiftungen.

Rechtsextremismus

Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Berlin ist im vergangenen Jahr von ca. 2.190 auf ca. 2.010 Personen zurückgegangen. Die Zahl der Neonazis hat sich weiter von ca. 750 auf ca. 650 Personen verringert. Auch die Mitgliederzahl rechtsextremistischer Parteien nahm ab - mit Ausnahme der NPD. Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) legt sowohl im Bundesgebiet als auch in Berlin abermals zu: In Berlin stieg die Mitgliederzahl von ca. 220 auf nunmehr ca. 290. Die "Deutsche Volksunion" (DVU) hat aufgrund von Überalterung und mangelnder Dynamik weiter Mitglieder verloren und kaum neue hinzugewonnen. Ihre Mitgliederzahl sank von ca. 380 auf ca. 300. Die Anzahl der subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten RechtsextremistInnen stagniert bei ca. 500 Personen.

Die "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" und Gewaltdelikte sind im vergangenen Jahr zurückgegangen. Bei den Gewaltdelikten, die fremdenfeindlich motiviert waren oder sich "gegen links" richteten, ist ein Rückgang festzustellen. Die Zahlen befinden sich jetzt wieder auf dem Niveau der Vorjahre. Die Propagandadelikte sind von 1.330 auf 980 gesunken.

Die Berliner NPD bleibt 2007 der zentrale rechtsextremistische Akteur in Berlin. Sie nutzte die Bezirksverordnetenversammlungen als ein Forum für ihre Propaganda. Darüber hinaus versuchte sie, eine Veranstaltungsoffensive zu starten und die Bezirksrathäuser für Vorträge zu nutzen. Inhaltlich kam die Partei über populistische Propaganda jedoch selten hinaus. An ihre Grenzen gerät die NPD durch die fehlende Personaldecke und Fachkompetenz: So konnte die Partei die angekündigten Beratungsbüros für Arbeitslosengeld II EmpfängerInnen nicht in die Tat umsetzen. In Berlin arbeitet die NPD weiterhin eng mit den aktionsorientierten RechtsextremistInnen und autonomen NationalistInnen zusammen.

Das Berliner Kameradschaftsnetzwerk besteht aus ca. 200 Personen. Allerdings gibt es keine "klassischen" Kameradschaften mehr. Es haben sich vielmehr Aktionsgemeinschaften ohne feste Mitgliedschaften gebildet. Aktivitäten werden nicht mehr öffentlichkeitswirksam sondern eher konspirativ durchgeführt. Trotz der geringen formalen Strukturen organisierten AktivistInnen des Kameradschaftsnetzwerks Propagandaschmierereien oder Plakate und Flugblätter zu unterschiedlichen Themen. Die vermehrten Aktionen zum Gedächtnis an Rudolf Hess und Horst Wessel zeigen die weiterhin hohe Bedeutung neonazistischer Themen.

Dem rechtsextremistischen Musiknetzwerk gehören rund 200 Personen an. Auch wenn deren Aktivitäten in Berlin zurückgegangen sind, bleiben die Strukturen sehr beständig. Das Musiknetzwerk besteht im Kern seit Jahren aus weitgehend denselben Gruppen und Einzelpersonen.
Im diskursorientierten Rechtsextremismus verfolgt der "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV) das Ziel, "einen organisierten und geordneten Angriff auf die Auschwitzlüge als dem Fundament der Fremdherrschaft über das Deutsche Reich zu beginnen".

Linksextremismus

Das linksextremistische Personenpotenzial hat sich mit ca. 2.210 Personen gegenüber dem Vorjahr kaum verändert. Dies gilt sowohl bei den gewaltbereiten aktionsorientierten Linksextremisten mit ca. 1.160 Personen als auch bei den nicht-gewaltbereiten Linksextremisten mit ca. 700 Personen. Ebenfalls konstant blieb mit ca. 350 Personen die Zahl derer, die linksextremistischen Parteien zugerechnet werden. Die Anzahl der Straftaten im Bereich der "Politisch motivierten Kriminalität - links" ist gegenüber dem Vorjahr von 543 auf 729 Fälle angestiegen. Dies betrifft sowohl die Gewaltdelikte als auch die sonstigen Delikte. Trotz dieses Anstiegs ist ein Rückgang in der Kategorie "gegen rechts" zu verzeichnen. Vor allem die Brandstiftungen nahmen zu: waren es im Jahr 2006 erst 16, so stieg die Zahl im vergangenen Jahr auf 102. Fünf Gewaltdelikte wurden im Zusammenhang mit Sympathieaktionen gegen die Räumung eines besetzten Hauses in Kopenhagen / Dänemark begangen, elf weitere Gewaltdelikte standen im Zusammenhang mit der Versteigerung des Grundstückes Köpenicker Straße 137 bzw. dem ehemals besetzten Haus Rigaer Straße 94. Die sonstigen Delikte stiegen um 127 auf 548 Fälle. Im Zusammenhang mit dem G 8-Gipfel wurden 46 Straftaten verübt. Außerdem führten zum Teil strafbare Aktionen zum Erhalt alternativer Wohnprojekte zu einem Anstieg der Fallzahlen.

Die Protestaktionen gegen den G 8-Gipfel in Heiligendamm im Juni 2007 wurden überwiegend von einer Vielzahl nicht-extremistischer Organisationen und GlobalisierungskritikerInnen getragen. Proteste bildeten aber auch den Schwerpunkt der Aktivitäten der gesamten linksextremistischen Szene. Anlässlich der Demonstration vom 02. Juni in Rostock, bei der es zu erheblichen Ausschreitungen gekommen war, entzündete sich eine tiefgreifende Diskussion über den Einsatz von Gewalt. Die Diskussion könnte zu einer weiteren Spaltung der Szene führen.

Die "militante gruppe" (mg) setzte ihre gewaltsamen Anschläge im ersten Halbjahr 2007 fort. In mehreren Selbstbezichtigungsschreiben bekannte sich die Gruppe zu diversen Straftaten.

In Berlin hat der Kampf um "autonome Freiräume" an Gewicht gewonnen und sich zum Kampagnenthema der linksextremistischen autonomen Szene entwickelt. In diesem Zusammenhang wurden im Verlauf des Jahres zahlreiche Straftaten begangen.

AusländerInnenextremismus

Extremistische Gruppierungen werden in Berlin nur von einer kleinen Minderheit der hier lebenden AusländerInnen unterstützt. Im Jahr 2007 ließen sich ca. 4.670 Personen extremistischen Ausländerorganisationen zurechnen, dies entspricht ca. einem Prozent der ausländischen Bevölkerung Berlins (30. Juni 2007: 466 300 Personen). Die Verteilung auf die einzelnen Extremismusfelder ist weitgehend konstant geblieben: Unter den ausländerextremistischen Organisationen in Berlin bilden die AnhängerInnen islamistischer Gruppierungen mit ca. 3.420 Personen die Mehrheit, dies entspricht einem Anteil von etwa zwei Dritteln. Linksextremistische Organisationen stellen mit ca. 1.250 Personen etwa ein Viertel. Ca. 300 Personen sind extrem nationalistischen Organisationen zuzurechnen. Von den ca. 4.670 Personen, die extremistischen AusländerInnenorganisationen angehören, gelten ca. 1.540 als AnhängerInnen gewaltorientierter Organisationen. Dies entspricht knapp einem Drittel des Gesamtpersonenpotenzials. Die ca. 1.250 linksextremistischen AusländerInnen in Berlin gehören gewaltorientierten AusländerInnenorganisationen an. Nach der Statistik der "Politisch motivierten Kriminalität - Ausländer" war eine deutliche Abnahme von 176 auf 137 Straftaten festzustellen.

Die politisch motivierten Gewaltdelikte stiegen im Vergleich zum Vorjahr von 26 auf 32. Vor allem im Bereich "Landfriedensbruch" ist ein Anstieg von vier auf zehn Fälle festzustellen. Diese sind dem Thema "PKK / Kurdenproblematik" zuzurechnen.

Deutschland liegt im Fokus des internationalen Terrorismus. Das haben nicht zuletzt die vereitelten Anschlagspläne und Festnahmen der vier mutmaßlichen Anhänger der "Islamischen Jihad Union" (IJU) im September und November 2007 bestätigt. Beim islamistischen Terrorismus haben sich die Täterprofile zunehmend ausdifferenziert. Anschläge drohen nicht mehr nur durch von "al-Qa´ida" gesteuerte regionale Mujahidin-Zellen, sondern auch durch so genannte "homegrown"-TerroristInnen, durch von "al-Qa´ida" ideologisch "inspirierte", strukturell ungebundene TäterInnengruppen sowie durch EinzeltäterInnen, die sich aus aktuellen Anlässen zu terroristischen Aktionen entschließen. Für die Verbreitung ihrer Botschaften hat das Internet zunehmend an Bedeutung gewonnen.

Weitere Infos unter: www.verfassungsschutz.de

(Quelle: Bundesamt für Verfassungsschutz)


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Beitrag vom 31.05.2008

Britta Leudolph